Freitag, 21. Juli 2017

Von Jurten, Nomaden und Edelweissen. Osh - Song Kül - Naryn

Endlich geht es weiter! Nach einer Woche in Osh freuen wir uns wieder aktiver zu werden und können es kaum erwarten die Hitze der Stadt zu verlassen und in die Berge zu gehen.

Die Zeit in der Stadt haben wir aber dennoch gebraucht um uns zu erholen, kulinarische Gelüste zu stillen und natürlich die kommende Etappe zu planen. Im Gegensatz zum Pamir sind die Informationen für Tourenfahrer in Kirgistan rar. Lange haben wir überlegt, gegoogelt und mit anderen Radfahrern gesprochen und uns schliesslich für die Route durch das Suusamir-Tal über den Kara-Keche-Pass an den Song Kül (ein viel gelobter Bergsee inmitten grünem Weideland und Jurten) entschieden.
Da es in Osh, wie bereits erwähnt, brütend heiss war und zudem dichter Verkehr auf den teils schmalen Strassen herrschte, liessen wir uns von einem Auto eingangs Suusamir-Tal absetzen. Eine vernünftige Entscheidung, wie sich während der fast 6-stündigen Autofahrt herausstellte. Die Kirgisen brillieren im Gegensatz zu ihren Nachbarn den Usbeken und Tadschiken durch unglaublich rücksichtslose und skrupellose Fahrkünste: Überholmanöver an den unübersichtlichsten Stellen im grössten Tempo, dreispuriges Fahren auf eigentlich zweispuriger Strasse. Zu allem sind viele Autos in Kirgistan rechts gelenkt. Man stelle sich also vor wie weit ein Auto im Rechtsverkehr ausschweifen muss, nur um zu sehen, dass auf der Gegenspur doch ein Fahrzeug kommt. Noch viel unangenehmer wird es, wenn man den übermässigen Alkoholkonsum der Kirgisen bedenkt. Überall am Strassenrand zeugen leere Wodka-Flaschen davon, nicht selten sieht man Betrunkene in den Dörfern über die Strassen torkeln. Nachdem wir bei der Mittagspause unter den Bäumen von zwei solchen Gestalten belästigt wurden, wurden wir insbesondere in der Wahl unserer Zeltplätze noch vorsichtiger.

Aber nun zurück zur Autofahrt: Diese überstanden sowohl wir als auch unser Gepäck unbeschadet. In einem Hotel liessen wir uns absetzen. Die geplante Weiterfahrt mit dem Velo am nächsten Tag wurde aber durch heftigen Regen, der den ganzen Tag anhielt, um einen Tag verschoben. Auch am nächsten Morgen versprachen weder die Wetterprognose noch einen Blick in den Himmel Sonnenschein. Wir waren aber nicht mehr zu halten und fuhren trotzdem los. Nach stolzen 11km mussten wir dann auch bereits die Regenausrüstung auspacken.

Suusamir-Tal: Das erste Mal auf dieser Reise folgten wir dem Fluss abwärts. Das Tal war saftig grün und die Landschaft unglaublich abwechslungsreich. Sehr zu unserer Freude war die Strasse in fahrbarem Zustand - zumindest wenn wir an die Strassen im Pamir zurückdenken - natürlich ungeteert, aber wenigstens hielten sich die Schlaglöcher und das Wellblech in Grenzen. Verkehr hatte es kaum welcher.
Unterwegs wurden wir immer wieder von – zum Glück nur kurzen – Regenschauer überrascht. Im lieblichen Dorf Kizil-Oy finden wir im Homestay vom CBT-Koordinator der Gegend ein schönes Nachtlager und werden so gut wie schon lange nicht mehr bekocht.

CBT (community based tourism): Projekt in den 90er Jahren von Helvetas in der Idee zusammen mit den Dörfern eine Infrastruktur für die Touristen aufzubauen und natürlich den Familien einen zusätzlichen Erwerbszweig zu ermöglichen. Dank CBT findet man auch in kleinen, abgelegenen Dörfern eine Übernachtungsmöglichkeit. In Workshops wurde den Einheimischen erklärt was Touristen mögen, speziell auch in Bezug auf das Essen. Mittlerweile hat sich Helvetas zurückgezogen und CBT ist komplett eigenständig.

Hier bestätigt man uns in unserer Routenwahl über den Kara-Keche-Pass. Dies sei von dieser Seite die beste Möglichkeit an den Song Kül zu gelangen. Die Strasse zweige in Bash Kuugandi gleich hinter der Moschee rechts ab. Bei dem schlechten Kartenmaterial, das wir von Kirgistan haben, wo in jeder Karte das Strassennetz anders ausschaut, sind solche Informationen hilfreich.

Kara-Keche-Pass: Uns erwarten 45km und 1600 Höhenmeter. An sich eine gemässigte Steigung, aber die Strecke zieht sich ungemein in die Länge, zudem kommt die erste Kurve erst nach 30km, was es auch nicht unterhaltsamer macht. Spannung bringt dafür eine Flussüberquerung ins Spiel. Das Wasser reicht bis zu den Oberschenkeln und die Strömung ist reissend stark. Beim ersten Versuch das Velo durch den Fluss zu schieben, stellt sich dieses sofort quer und droht weg zu schwimmen. Also gilt: Hosen hochkrempeln, Sandalen anziehen und jedes Gepäckstück einzeln durch das Wasser zu tragen.
Vor dem letzten, steilen Passanstieg finden wir am Fluss einen wunderschönen Zeltplatz. Gerade noch rechtzeitig vor dem aufziehenden Gewitter schaffen wir es ins Zelt.
Etwas haben wir in unseren ersten Tagen in Kirgistan schnell gelernt: Das Wetter verändert sich rasch hier! Die Zeit zum Anziehen der Regenausrüstung reicht nicht immer aus.
Auch am nächsten Tag als wir gemütlich vom Pass hinunter in Richtung des Song Kül rollen und die Aussicht auf die scheinbar wahllos verteilten Jurten geniessen, erschrecken wir beim Blick zurück: Eine schwarze, düstere und bedrohlich schnell wandernde Wolkenwand bewegt sich auf uns zu. Glücklicherweise winken uns am linken Strassenrand Kinder zu ihrer Jurte. Kaum sind wir im Trockenen prasseln Erbsen grosse Hagelkörner auf die Wiese. Draussen galoppieren die Pferde verstört davon. Währenddessen werden wir drinnen grosszügig bewirtet. Zu Brot gibt es frischen Rahm und Butter, natürlich alles selbst gemacht sowie Tee. Zum Dank stecken wir der Hausherrin neben einer Fotokarte von uns beim Gehen etwas Geld zu. Was sie zwar vehement abzulehnen versucht, schliesslich aber doch einsteckt. Die Familien hier leben in zu spartanischen Verhältnissen, als dass noch die Münder von Gästen gestopft werden können. Wir hätten ein schlechtes Gewissen und das Gefühl, die hiesig gross geschriebene Gastfreundschaft auszunutzen.
Bis zur Ankunft am Song Kül werden wir noch mindestens einmal von einem weiteren Gewitter überrollt. Dennoch ist die Fahrt durch das hügelige Weideland mit den zahlreichen Jurten ein Genuss. Manche sind von Schafen, andere von Kühen oder Pferden umringt. Reiter begegnen uns hoch zu Ross. Kinder, die scheinbar noch kaum gehen können, sitzen sicher im Sattel und dirigieren das Pferd lässig und selbstsicher.
Auch an Hirten- und Wachhunden fehlt es natürlich nicht. An jeder Strassen nahen Jurte fahren wir mit erhöhter Bremsbereitschaft vorbei. Denn zum Glück unterscheiden sich die Nomadenhunde nicht von den anderen bisherig kennengelernten zentralasiatischen Hunde: Zwar rennen sie bei unserem Anblick wütend bellend auf die Strasse, sobald wir aber stoppen und sie ebenso wütend anschreien, ziehen sie sich beschämt zurück.

Song Kül: Ich bin erstmal über die Grösse des Sees erstaunt. Habe ich ihn mir doch viel kleiner vorgestellt. Das Wasser ist klar blau, die grünen Wiesen reichen bis ans Ufer. Sie sind weiss gesprenkelt von den tausend Edelweissen, die hier oben wachsen. Noch nie haben wir so viele Edelweisse gesehen! Wohin man schaut, sieht man Tiere grasen und überall stehen Jurten. Die Wiesen werden als Sommerweiden (Jailoo) genutzt. Diskret und kaum von den anderen Jurten zu unterscheiden, mischen sich Jurtcamps, eine grössere Ansammlung von Jurten, unter die weissen Zelte. Hier können die Touristen nächtigen. Anstelle eines Hotelzimmers gibt es eine Jurte, deren Inneres mit traditionellen Filzteppichen, bunten Stoffen und einfachen Holzbetten eingerichtet ist. Ein einfacher Ofen sorgt in den kalten Nächten für Wärme. Ebenso ein Beispiel des schonenden Tourismus in Kirgistan. Kein einziges gemauertes Haus steht am See und schon gar kein Hotelkomplex. Wir hoffen, es werde so bleiben.
Wir finden im Jurtcamp Baiysh direkt am See eine schöne Bleibe. In der zentralen Essjurte geniessen wir erstaunlich gutes Essen. Neben frischem Gemüse gibt es Forelle aus dem See und natürlich fehlt auch frisches, selbstgemachtes Brot nicht. Etwas, das in ganz Zentralasien immer als erstes auf den Tisch kommt. Aber noch lange nicht immer begleitet von abwechslungsreichen Zutaten und schon gar nicht immer ist es Ofen frisch.
Einen weiteren Luxus, den das Camp bietet und wir uns nicht entgehen lassen, ist die Banja (russische Sauna/ Dampfbad). In einer einfachen Holzhütte wird Wasser kochend heiss aufgeheizt. Daneben steht ein ebenso grosser Topf mit kaltem Wasser. Im Raum ist es dampfend warm und man kann sich mit Kübeln Wasser in der gewünschten Temperatur anleeren. Ein wahrer Genuss in den kalten Abendstunden und nach 5 Tagen ohne Dusche.

Ebenso nicht entgehen lassen können wir uns einen Reitausflug. Die Organisation der Pferde ist ein einfaches Unterfangen. Es werden einfach zwei liebe und ruhige Tiere von der Weide eingefangen und gesattelt. Die Betreiberin vom Jurtcamp winkt ab, als wir nach einem Guide fragen. Die Tiere seien brav. Und so kommt es, dass Sven und ich – beide ohne jegliche Reiterfahrung – plötzlich im Sattel sitzen. Rasch wird uns erklärt „tschu“ heisse „lauf“ und „tak“ bedeute „Stopp“. Tatsächlich gehorchen die Beiden und schreiten gemütlich dahin. Nach knapp 2 Stunden befinden sie aber, es sei nun Zeit nach Hause zu gehen. Sie bleiben wie angewurzelt stehen. In die einzige Richtung, in die sie sich mit unseren mangelhaften Kenntnissen noch bewegen lassen, ist in die, aus der wir gekommen sind. Und so findet unser Reitausflug früher als geplant sein Ende. Den Hügel, von dem wir gerne auf den See runter geschaut hätten, erreichten wir leider nicht.

"Schlafballon": Dank Sonja und ihrer Familie aus Wien, die wir im Camp treffen, kann Sven die nächsten Nächte im Zelt wieder bequem schlafen: Bei seiner Isomatte sind die Zwischennähte gerissen und so bläht sie sich kugelig auf wie ein Ballon. Wir kriegen ihre Schlafmatte, die sie nicht mehr brauchen. An dieser Stelle nochmals herzlichen Dank! Darauf schläft es sich wirklich bequem.

Vom See führt uns eine spektakuläre Serpentinen reiche Passstrasse in ein einsames Tal dicht bewachsen von den typischen Tian Shan Fichten. Die Landschaft erinnert uns stark an unsere Alpen zu Hause und weshalb Kirgistan auch gerne als "die Schweiz Zentralasiens" bezeichnet wird. Die Vegetationszonen sind hier einfach um etwa 1000 Meter nach oben verschoben.

Schliesslich gelangen wir über einen weiteren namenlosen Pass nach Naryn. Naryn ist eine alte Garnisonstadt an der Seidenstrasse. Auch heute hat sie eine wichtige Bedeutung für den Handel. Von hier führt die Hauptstrasse nach China, von wo ein Grossteil der Importware kommt. So muss diese Strasse erst vor kurzem neu gebaut worden sein. Die letzten 50km nach Naryn rollen wir auf makellosem, schwarzem Asphalt. Am Strassenrand bepinseln Strassenarbeiter in liebevollster Handarbeit die Leitpfosten.
Für uns ist es in Naryn wieder Zeit geworden für einen Ruhe-Wasch-und-Dusch-Tag.

Schlaglöcher-Parade



Friedhöfe sehen hier zu Lande aus wie Tempelanlagen


Abendstimmung


spektakuläre Flussüberquerung, der blaue Lada im Hintergrund hatte weniger Glück

Kohle Bergwerk kurz vor dem Kara-Keche-Pass

auf dem Kara-Keche-Pass

Gewitterwolke, schnell näher kommend

Schutz suchend

bei dieser Familie fanden wir Unterschlupf



"unsere" Jurte

Edelweiss so weit das Auge reicht


Song Kül





Erinnerungen an zu Hause werden wach

Leider kein seltenes Bild am Strassenrand





Naryn, die Sowjets lassen grüssen

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